Das Programm der Fachtagung war so breit angelegt, wie der inhaltliche Anspruch – von Zukunftsperspektiven und gesellschaftlichen Entwicklungen im Spannungsfeld zwischen Barrierefreieheit und Web 2.0 bis hin zu meinem recht konkreten Thema "Barrierfreie Umfragen (Formulare)".
Dazu noch die Vorstellung der BIENE-Umfrage zu den Nutzungsgewohnheiten behinderter Surfern im Web 2.0 und der Auftakt zur BIENE 2008 (der Zusatz "Award" muss ab diesem Jahr dran glauben).
Auch technisch hatten sich die Veranstalter viel vorgenommen: Alle acht parallel stattfindenden Workshops wurden life ins Internet übertragen und über einen Rückkanal konnten sogar Fragen direkt in die einzelnen Workshops gegeben werden, was zumindest in einem "meiner" Workshops genutzt wurde.
Insgesamt hat die Technik wohl ganz gut funktioniert und es wurden über 2.000 Zuseher gezählt – nicht schlecht, finde ich.
Workshop "Deine Stimme zählt"
Ich war als Moderator für den Workshop "Deine Stimme zählt" zum Thema barrierefreie Umfragen vorgesehen und ziemlich gespannt, wie das Konzept "Workshop" und die Online-Beteiligungsmöglichkeit ankommen würden.
Glücklicherweise hatte ich ein gutes Expertengremium: Mit Thomas Caspers und Jan-Erik Hellbusch waren gleich zwei maßgeblich an der Umsetzung der Umfrage Beteiligte auf dem Podium und Thilo Trump vom ausführenden Marktforschungsunternehmen saß noch im Publikum. Komplettiert wurde die Runde durch Dr. Floriam Kramer von RWTH (jetzt richtig) Aachen, der die Interessen der Hörgeschädigten und Tauben in die Diskussion einbringen konnte.
Die Kombination sorgte dafür, dass sich auch das Podium nicht immer einig war (so etwas ist der Tod für jede Diskussion) und das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet werden konnte.
Ein interessanter Aspekt war die Erkenntnis, die aus der Durchführung der BIENE-Umfrage entstanden ist: eine einzige Version der Umfrageformulare für alle Behinderungsgruppen ist nicht umsetzbar. Wenn alles für Hörgeschädigkte optimiert wird, leiden die Blinden und umgekehrt. Das eröffnet angesichts der BITV, die ja ausdrücklich Alternativversionen ablehnt, neue Diskussionen. Auch in anderen Workshops scheinen ähnliche Ansätze diskustiert worden zu sein.
Ich persönlich bin der Überzeugung, dass eine inhaltsidentische oder -gleichwertige Optimierung kein Problem im Sinne der Barrierefreiheit darstellt. Inzwischen bieten Seiten wie amazon – aus anderen Motiven – jedem Nutzer seine "optimierte" Seite an. In Zeiten von dynamischen Websites und CMS scheint mir die generelle Ablehnung von Alternativversionenen unnötig und nicht mehr zeitgemäß und offensichtlich auch nicht zielführend.
Die zwei Stunden gingen Dank einer zwar nicht überschäumenden aber regen Publikumsbeteiigung und mehreren Anfragen aus dem Web dann doch sehr schnell vorüber und ich musste kaum auf die Alternativfragen (die ich mir als pflichtbewusster Moderator natürlich zurecht gelegt hatte) zurückgreifen.
Am Ende konnten wir sogar mehrere konrete Ideen finden, mit denen wir das Ziel – Zugängliche Formulare für Alle – fördern können:
- Öffentliche Bibliothek von Gebärdenvideos für häufig benutze Formularfelder
- Community von freiwilligen (Laien-)gebärdendolmetschern, die anderen (privaten) Nutzern bei der Bereitstellung von Videos helfen
Einig waren sich dann aber auch alle Experten, dass die Herstelle assistiver Werkzeuge noch einige Hausaufgaben offen haben…
Workshop "Fragmentierung, Vielfalt, Mash-up"
Der zweite Workshop, den ich als Teilnehmer miterlebt habe – befasste sich dann eher mit gesellschaftpolistischen Fragen rund um das Web 2.0 und hatte recht wenig Bezug zum Thema Barrierefreiehit.
In der ersten Stunde hatte ich erhebliche Schwierigkeiten, der Veranstaltung zu folgen, was sicher auch an dem sehr guten und umfangreichen Mittasessen lag, dass unmittebar vorher lag.
Aber auch daran, dass – trotz des Themas "Web 2.0" (was ja doch etwas mit Publikumsbetiligung zu tun hat) und der Bezeichnung "Workshop" nur die Experten auf dem Podium diskutierten und das Auditorium nur in Form von schriftlichen Antworten auf vorformulierte Fragen einbezogen wurde. Das fand ich etwas schade und dem Thema nicht angemessen. Zumal auch einige wirklich merkwürdige Thesen vertreten wurde, so z.B. dass die Technik quasi neutral sein und die Verbreitung neuer Internet-Trends in der Verantwortung der Nutzer liege – am Beispiel Videoplattformen besonders absurd. Ohne Bandbreitenexplosion und Flashvideo würde es kein Youtube geben – ohne P2P-Software kein Filesharing usw. Ich dachte, diese Diskussion haben wir schon lange hinter uns…
Während ich allerdings noch mit mir rang, mich zu Wort zu melden und die Publikumsbeteiligung einzufordern, hatte Jonny Häusler von Spreeblick.de schon das Wort ergriffen und von da an wurde es lebhafter und interessanter (Danke, Jonny!).
Heraus kam, dass es doch sehr unterschiedliche Sichtweisen auf die Chancen und Risiken des Web 2.0 und die dadurch entstandenen MItwirkungsmöglichkeiten für alle Nutzer gibt (dass es beides gibt, war unbestritten).
Während einige Teilnehmer (aus Publikum und Podium) eher die Probleme betonten, die z.B. durch die Verbreitung und Sammlung privater Daten entstehen, sahen andere eher die Chancen und Möglichkeiten zur einfachen weltweiten Kommunikation mit vielen gleich- und andersgesinnten Menschen.
Fazit
Alles in allem war es für mich eine gelungene Veranstaltung, nicht zuletzt aufgrund der interessanten Gespräche, die ich am Rande der Workshops und in den Pausen geführt habe. Aber auch den einen Workshop, den ich als Teilnehmer besucht habe, hätte ich – zumindest im zweiten Teil – nicht missen mögen.